_nicht die Ursache für deine Gewalt | _mein eigenes Schlachtfeld | _mir lieb | _mein Werkzeug | _meine Spielwiese | _ _ _

_keine Sportmaschine

Da bin ich wieder. Ich komme grad vom Joggen zurück. Also: “Joggen”.

Ich habe seit August letzten Jahres, als ich für die RuhrTriennale als (Re-)Performerin gearbeitet habe (war kein Spaß, das könnt ihr mir glauben) und dafür fit sein musste, keinen Sport mehr gemacht. Und wenn ich sage: keinen, dann meine ich das auch so. Die meiste Bewegung, die ich mir und meinem Körper zumute, geht vom Bett aus einmal durch die Wohnung, zu Fuß zur Bushaltestelle, von da zum Büro und zurück. Ich laufe manchmal Treppen. Das ist alles.

Und langsam merke ich, wie das anfängt, mich einzuschränken. Bin ich mal spät dran und muss zum Bus rennen, brauche ich danach eine halbe Stunde, um mich zu erholen. Wenn ich schwer bepackt mit Taschen durch die Stadt muss, geht mir der Atem aus. Mein_ Freund_in sagt, meine Lunge pfeift, wenn ich atme. Hat sich wohl verengt, weil ich brauche ja nicht so viel Luft. Ich rauche auch, das macht es wohl nicht besser. Ich bin immer müde und alles kommt mir anstrengend vor.

Mein nicht Sport treiben hat natürlich Gründe. Einer davon ist, dass mir Sport noch nie Spaß gemacht hat und selbst als ich regelmäßig welchen betrieben habe (Basketball, Karate), war meine Ausdauer trotzdem immer schlecht und jeder Meter rennen immer noch ein Kampf. Ich hatte auch nie dieses Gefühl des Fitseins, das immer so gepriesen wird, oder das Gefühl, dass der Sport mir Energie gibt. Ich fühle mich nach dem Sport immer ausgelaugt und der Resttag ist danach eigentlich hin, weil ich fertig und müde bin. Manches liegt wohl einfach auch an der eigenen körperlichen Disposition. Ein anderer Grund ist aber auch eine Art Trotzreaktion gegen diesen Fitnesszwang, diese Gesundheitsnorm, diesen Körper-Optimierungswahn, der mich_uns überall umgibt. Und der nicht_Bewegung unweigerlich in Zusammenhang mit Fett_werden bringt und Fett_sein auf nicht-Bewegung zurück führt.

Laut der kursierenden Erzählungen über Fett, Gesundheit, Sport und Essen müsste ich fett sein, sehr fett. Bin ich aber nicht. Also stimmt eure Erzählung nicht. Also hört auf mit dem verdammten fat-shaming! Das ist das Eine. 

Das andere ist: Ich will in diesen Diskurs von “Ich mache Sport, weil es mir gut tut” nicht einsteigen, weil dieser “ich mach das nur für mich”- oder “wenn du es für dich selber machst, ist es in Ordnung”-Diskurs so unglaublich häufig mit einer Verinnerlichung von patriarchalen Zwängen zusammenhängt und davon ablenkt, dass das alles Teil einer Körperpolitik ist, die versucht, alle Probleme aufs Individuum abzuwälzen.

Überlegt doch mal die inhärente Un_Logik: Unsere Gesellschaft ist seit Jahrtausenden damit beschäftigt, ihre Zivilisation so einzurichten, dass di*er Mensch*in sich so wenig wie möglich bewegen oder gar körperlich anstrengen muss. Wir müssen nicht mehr weit laufen, nicht mehr schwer tragen, nicht mehr selbst etwas bauen oder h_errichten (von jagen und sammeln will ich hier gar nicht erst sprechen), alles was körperliche Schwerstarbeit und damit automatisch Training für unseren Körper bedeutet_e, wird nun entweder von Maschinen oder von bestimmten Mensch*innen verrichtet, die zu einer bestimmten Klasse gehören (auf die wir auch noch herabblicken!). Wir sind also kontinuierlich damit beschäftigt, Bewegung und körperliche Anstrengung_Arbeit aus unserem Leben zu verbannen. Und stellen GLEICHZEITIG die Forderung auf, dass mensch*in Sport braucht_en muss, um sich wohl_er zu fühlen?!? Sinn macht das nicht. Außer…..

…ich möchte das jetzt mal anders angehen: Sport ist eine Ware.

Aldous Huxley (ich mit meinem bürgerlichen Bildungswissen, jajajaja) wusste das auch schon und malte sich aus, wie Sport in s_einer manipulativen Utopie Teil der kapitalistischen Konsumfo_erderung ist:

“Primroses and landscapes, he pointed out, have one grave defect: they are gratuitous. A love of nature keeps no factories busy. It was decided to abolish the love of nature, at any rate among the lower classes; to abolish the love of nature, but not the tendency to consume transport. For of course it was essential that they should keep on going to the country, even though they hated it. The problem was to find an economically sounder reason for consuming transport than a mere affection for primroses and landscapes. It was duly found. “We condition the masses to hate the country,” concluded the Director. “But simultaneously we condition them to love all country sports. At the same time, we see to it that all country sports shall entail the use of elaborate apparatus. So that they consume manufactured articles as well as transport. Hence those electric shocks.” Aldous Huxley: Brave New World, Chapter 2

Gut, bei uns werden jetzt keine Elektroschocks eingesetzt, um die Menschen zum Sport zu treiben. Aber body_fat_shaming, Krankheits- und Todesvorhersagen, unerreichbare Schönheitsideale, Fitnessmythen und die allgemeine Körperpolizei — sind auch ganz schön kraftvolle Manipulationsinstrumente, nicht?

Sport ist eine Ware. Welchen Sport kann mensch*in denn schon für völlig umsonst betreiben? Genau: in den Wald gehen und joggen. Dafür “brauche” ich: Laufschuhe, Laufbekleidung, und – je nach Bedarf – verschiedenen Krims krams. Vor allem brauche ich aber einen Willen zur Leistung, einen Willen zum Durchhalten, einen Willen zur Selbstoptimierung, der mich immer wieder hechelnd durch den Wald treibt, damit ich mir nachher einreden kann, dass ich etwas geschafft und geleistet habe. Nicht für irgendwen (natürlich nicht, ist es ja nie) sondern ganz allein für mich selbst. Dieses “leisten” im (nicht immer Leistungs-)Sport, das ist es, was mich stört. Das ist meine Freizeit, da will ich nichts leisten. Da will ich frei_e Zeit haben, ganz einfach.

Sport heißt aber:

an sich arbeiten — sich immer weiter treiben — “diesen Punkt an dem du nicht mehr kannst überschreiten” — über deine Grenzen hinaus gehen — deine Zeit verbessern — dünner//schöner//fitter//gesünder werden

Dagegen sperre ich mich. Immer wieder Selbstoptimierung, die mich schon genug kaputt macht in allen anderen Lebensbereichen. Immer dieses Stimmchen im Hinterkopf: Ist das genug? Bringt das denn so überhaupt was? Wenn du jetzt x machst, dann musst du aber später auch yz machen, sonst bringt das doch alles gar nichts! (und: Das schaffst du doch eh nicht!)

Ganz oft ist da der einzige Ausweg, selbstbewusst zu sagen: Ich WILL es auch gar nicht schaffen. Es GEHT doch auch gar nicht darum, etwas zu schaffen. Wenn ich etwas wirklich NUR FÜR MICH tue, dann geht es doch nur darum, das ICH MICH WOHL FÜHLE. “Ich tue es nur für mich” geht nicht zusammen mit “Ich tue es gegen meinen Willen”. Darum mache ich keinen Sport. Ich habe auch heute keinen Sport gemacht. Ich war im Wald und ich hab mich bewegt. Bin immer mal wieder ein Stück gelaufen. Hab mich ein bisschen gedehnt. Immer so, dass ich nicht hecheln und keuchen und nach Luft schnappen musste. Immer so, dass ich die Sonne, das schöne Wetter und das Vogelgezwitscher wahrnehmen und sogar genießen konnte. Immer so, dass der Bewegunsmodus meiner inneren Lust entsprach. Und hier ist ja wieder so ein Widerspruch: Die Lust an der Bewegung trainieren wir unseren Kindern ja meistens sehr effizient ab (spätestens in der Schule).

Hat bei mir gut geklappt: Mein bevorzugter Bewegungsmodus ist: bei Sonne im Gras liegen.

Mal sehen, wann ich wieder raus will, wann es mich wieder nach Bewegung verlangt. Ich werde aber auch das jedenfalls nicht mehr tun, weil ich denke, dass ich es muss. Ich muss schon genug in meinem Leben.

Un_Sportliche Grüße, eure

anna- Schwelle