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Féministes Radicales, Blogroll und Sexarbeit

All women have the right to speak out against the exploitation and objectification of women. Every single one of them.

Quote von feministcurrent

Unser Blogbaby entsteht gerade erst und wir feilen und klären und denken noch eine Menge nach über wies und was…ein Thema ist natürlich: Welche Links wollen wir euch hier nahe legen? Di Hia liest im Moment besonders viel zu radikal-feministischen Strömungen und bewegt sich viel in frankophonen feministischen Kreisen. Daher der heute besprochene Link. Vorweg: Der Link wird von uns nun nicht mehr unkommentiert in der Blogroll zu finden sein.

Für folgende Unterhaltungen schicken wir eine Contentwarnung zum Thema Sex und Sexarbeit voraus.

Di Hia: Unser Dialog entsteht ja aus unserer Unterhaltung darüber, welche Links wir in unserer Blogroll haben wollen. Ich hatte die Féministes Radicales verlinkt und du hast mich gebeten, dass wir das noch ein mal besprechen. So weit ich das verstanden habe, hat dich deren Positionierung zu Sexarbeit gestört. Magst du das zu Anfang einfach noch mal etwas ausführen?

Anna Schwelle: Naja, ich bin halt die Links in der Blogroll mal so durchgegangen und stieß auf der Seite von den féministes radicales auf diesen Artikel.

Di Hia: Was hat dich an dem gestört?

Anna Schwelle: Die Féministes Radicales posten ein Video, in dem die (Radikal-)Feministin Catherine MacKinnon sehr deutlich eine komplette Illegalisierung von “Prostitution” fordert und Sexarbeit im Allgemeinen als schädlich für die Sexarbeiterinnen (und Frauen im Allgemeinen) framed, bzw. Unterscheidungen innerhalb des riesigen Feldes der Sexarbeit (legal vs. illegal, zB) für ungültig erklärt. Mir ist das alles zu krass über einen Kamm geschert und mir scheint, dass hier den Sexarbeiterinnen eine eigene Stimme abgesprochen wird. Da die Féministes Radicales auf ihrer Seite das Video nicht weiter kommentieren, muss ich davon ausgehen, dass es ihre Einstellung zum Thema widerspiegelt. Das kannmöchte ich wiederum nicht unkommentiert in unserer Blogroll haben.

Di Hia: Meinst du, dass es etwas paternalistisch ist? So wie ich die RF verstehe, gehen sie davon aus, dass es im Patriarchat keine freie Wahl FÜR Sexarbeit gibt, da diese asymmetrischen Machtstrukturen eine Ungleicheit verursachen, in der die Frauen nicht wirklich eine Wahl haben. Sexarbeit also vielleicht als Überlebensstrategie im Patriarchat? Reclaiming the body?

Anna Schwelle: Natürlich ist Sexarbeit eine Überlebensstrategie im Patriarchat — wie übrigens alle möglichen anderen Dinge, die wir tun, auch. So lange keine finanzielle Grundsicherung für alle Menschen gegeben ist, wird unser Leben daraus bestehen, aus verschiedenen Lebensversionen, in denen wir jeweils bestimmte Opfer bringen/Kompromisse eingehen müssen, die für uns passendste auszuwählen. Das gilt für Sexarbeit und für jede andere bezahlte Tätigkeit ebenso. Wir können aber Sexarbeit auch genau andersrum framen, nämlich als Möglichkeit aus dem Glauben, Frauen müssten ihre Sexualität für eine monogame, romantische heterosexuelle Zweierbeziehung, für ihren zukünftigen Mann, für “den Richtigen” aufsparen, auszubrechen und sie stattdessen aktiv für ihre eigenen Zwecke zu nutzen – selbstbestimmt und auf Augenhöhe. Ich glaube übrigens persönlich, dass keine dieser beiden Versionen 100%ig stimmt.

Di Hia: Das finde ich einen spannenden Punkt. Also diese empowernde Idee. Und so wie long way up schreibt, die Ökonomisierung der Vagina hat längst stattgefunden. Warum also nicht zu einem selbstbestimmten Preis? Und was du zu Überlebensstrategien schreibst, das wird glaub ich im Alltag viel zu oft verdrängt.

Anna Schwelle: Mein Ansatz zu Sexarbeit wäre daher eher, sie rechtlich so zu regeln, dass den Frauen, die innerhalb ihres persönlichen Kontextes sich entscheiden, dieser Art der Arbeit nachzugehen, so viel Handhabe gegeben wird, dass es rechtlich zumindest unmöglich ist, ihnen die Kontrolle über die Situation zu entziehen. Und gleichzeitig auf kultureller und sozialer Ebene daran zu arbeiten, dass die Vagina nicht mehr schon per se als ein ökonomisiertes Gut wahrgenommen wird.

Di Hia: Es bräuchte wohl soziale und ökonomische Gerechtigkeit. Wie aber stellen wir die her? Also, ich meine, generell sind Frauen Männern nicht gleichgestellt. Wie bei so einem Serviceangebot wie Sexarbeit? Was mich bei Gesellschaftsthemen immer interessiert: wem bringt das was? Also wer hätte ehrliches Interesse an einer Änderung an der Situation von Sexarbeiter*innen, außer der Arbeiter*innen selbst? Hat unsere hegemoniale Gesellschaft da Interesse dran, diese Branche zu empowern?

Anna Schwelle: Hm. Gute Frage, ich finde aber, der Feminismus sollte ein Interesse daran haben. Eben weil es im Moment so sehr mit einem Stigma versehen ist, wenn Frauen sexuell sehr aktiv sind. Jetzt stell dir aber mal vor, ein Bordell wäre der Ort, wo nur Frauen die Regeln machen. Frauen setzen ihre eigenen Konditionen fest. Eine Frauendomäne. Sex als Frauendomäne. Ich weiß selbst grad nicht, was das für größere Auswirkungen und Implikationen hätte, aber ich finde es einen interessanten Gedanken.
…der auch ein bisschen verzwickt ist, natürlich. Das Patriarchat zwingt uns diese Idee auf, dass Sex etwas ist, was Frauen aufgeben, und diktiert uns die Konditionen, zu denen wir es aufgeben dürfen: Monogamie, Heterosexualität, Ehe, Kinderwunsch, “Liebe”, etc. Jetzt sagen Frauen: Nee. Wir geben es zu unseren eigenen Konditionen auf, und nur zu denen. Fuckya! (Auch wieder eine etwas romantisierte Vorstellung von mir, ist mir klar)

Di Hia: Ich frage mich gerade, ob ich mir vorstellen könnte dort zu arbeiten. Sex hat für mich nicht nur schöne Seiten, sondern ist auch mit viel Schmerz und Druck verbunden. Ich habe viele sexuelle Erlebnisse mit Männern gehabt, die mir ein unschönes Gefühl bereitet haben. Sex ist eine Performance, die ich im heterosexuellen Kontext im Schlaf (…) beherrsche. Ich glaub, das teile ich mit vielen Frauen. Wir wissen, wie wir uns verhalten müssen, damit der Akt so und so verläuft. Ich erinnere mich, und das ist heute noch teilweise so, dass ich die Performance durchziehe, obwohl ich keine Lust habe. Dies geschieht vor allem aus meinem eigenen Harmoniebedürfnis heraus, aus meiner Annahme, dass Sex nunmal dazu gehört. Ich habe da selbst soviele Abläufe, Anforderungen und Muster in mir….das ist schwer da raus zu kommen. Der Gedanke, mit Sex Geld zu verdienen…der scheint mir, neben meinen moralischen Bedenken, die sicherlich durch meine Sozialisation konstruiert sind, eigenlich gar nicht so schlecht.

Wobei:
Wir reden ja gerade über Sexarbeit von Frauen an Männern und im Kontext von Misogynität ist das doch schon sehr problematisch, finde ich. Egal, ob ich mir das jetzt für mich vorstellen kann, ist für mich klar: Sexarbeiterinnen dürfen von fundamentalen Rechten nicht ausgeschlossen werden und auch nicht kriminalisiert werden. Diese Forderung teilen wir, oder?

Anna Schwelle: Ja, die teilen wir auf jeden Fall! Und ich teile auch deine Gefühle zu Sex, die du grade geäußert hast. Wobei bei mir die Konsequenz eine ganz andere wäre: Da ich so wenig Spaß an Sex (mit Männern) habe, bzw. nur so selten Lust habe, mit Männern Sex zu haben, kann ich mir genau gar nicht vorstellen, mit Sex Geld zu verdienen. Zumindest nicht in der full-service-Version. Aber ich glaube irgendwie, dass durch die Beschäftigung mit Sexarbeit und mit den rechtlichen und gesellschaftlichen Implikationen von Sexarbeit auch das “private” Sexleben und dessen auch ökonomisierte Aspekte ins Bewusstsein rücken. Also so Fragen wie: Wann habe ich Sex und warum? Mache ich da grad “mit”, weil ich eigentlich irgendwas anderes will, von dem mir das Patriarchat erzählt, dass ich es nur im Austausch gegen Sex bekommen kann?

Di Hia: Da fällt mir ein Gedanke ein, den ich schon länger habe:
Ist eine heterosexuelle Beziehung überhaupt möglich, wenn bereits eine gesellschaftliche Ungleichheit für diese Beziehung vorbestimmt ist. Und diese Ungleicheit sich auch mit ins Schlafzimmer schleicht. Und wie sehr kann ich eigentlich selbst klar haben, weshalb ich mich auf sowas einlasse? Wenn ich ehrlich bin, Sex als Thema schüchtert mich ganz schön ein. Und offensichtlich nicht nur mich.

Anna Schwelle: Ja, ich glaube das geht ja vielen Frauen so: Sex ist schließlich dreckig und schmutzig und als “reines Wesen Frau” dürfen wir darüber nicht reden…. irgendwie spiegelt sich genau das vielleicht auch in diesem Bestreben von Catherine MacKinnons und von Radikalfeministinnen, Sexarbeit als Ganzes zu illegalisieren, ohne überhaupt die Stimmen der Arbeiter*innen selbst zu hören?

Di Hia: Könnte sein ja. Aber eben auch als ganz klares Nein, die Frau als reines Sexobjekt zu manifestieren. Und ich glaube Sexarbeit ist so ein krasses Thema in unserer Gesellschaft, und wir haben da im Grunde null Ahnung von, weil wir eben keine Berührungspunkte mit Sexarbeiterinnen haben. Aber, in dem Moment wo ein Movement, mit dem ich mich identifiziere, Frauen fundamentale Rechte und Teilnahme an Gesellschaft verwehrt….da fühle mich mich als Feministin aufgefordert, meine Solidarität mit Sexarbeiterinnen zu formulieren.
Bzw. Generell meine feministischen Forderungen klar zu haben und keine Reproduktion von Ausschlüssen zu supporten.

Anna Schwelle: Zum Schluss möchte ich noch diesen Link empfehlen, damit dieses Gespräch wenigstens nicht ganz ohne die Stimmen von Sexarbeiter*innen bleibt:

Really, what’s not to love about being paid $200 to tell a man that he’s not good enough to touch me, or $80 for a man to lick me for half an hour?

–Eine Sexarbeiterin über ihre Arbeit, Kommentar Nr. 63

Vulva Heart

Foto of a Graffitti: Red Heart with a Vulva in it on white wall.

Are u with us?
Was sind eure Gedanken zu Sexarbeit und Feminismus?


7 Comments on “Féministes Radicales, Blogroll und Sexarbeit”

  1. tina201301 says:

    Ich fand Eure differenzierte Auseinandersetzung mit Sexarbeit sehr interessant. Ich möchte noch ein paar Stimmen von Sexarbeiter_innen dazugeben, die mir so über den Weg gelaufen sind:
    Die Prostituiertenvereinigung Hydra in Berlin (http://www.hydra-berlin.de/) hat m.E. viel zu sagen, z.B. ihr “Offener Brief mit Faktencheck zu einer Talksendung über Prostitution” (http://www.hydra-berlin.de/fileadmin/users/main/pdf/Offener_Brief_zur_Sendung_Maischberger.pdf) oder ihre Presseerklärung zum Prostitutionsgesetz: http://www.hydra-berlin.de/fileadmin/users/main/pdf/Presseerklaerung_Hydra_ProstG_01.pdf
    Dann fand ich Virgine Despentes Buch King Kong Theorie sehr erfrischend in dem, was sie zu dem Thema zu sagen hatte, auch der Vergleich von Sexarbeit mit klassischer (Ein-Verdiener-)Ehe, wo es ja letztlich auch um einen Tausch von Versorgung gegen sexuelle und häusliche Dienstleistungen geht.
    Und ganz treffend, der Vergleich von Sexarbeit mit Kellnern: http://www.reddit.com/r/SRSDiscussion/comments/10uki1/hang_ups_about_sex_work/c6gwcmd

    Bei radikalen Feministen gehen bei mir gleich aus einem anderen Grund die Alarmglocken los: im englischsprachigen Raum sind sie (die “radfems”) für ihre Transphobie bekannt, sie folgen da häufig den Gedanken von Janice Raymond im Transsexual Empire (Transfrauen seien Männer, die den Feminismus unterwandern und für ihre Zwecke nutzen wollen oder so ähnlich). Keine Ahnung, ob das im französischsprachigen Raum auch so sind.

    • Ach, toll, danke für die vielen ergänzenden Links. Die werde ich mir am nächsten Wochenende mal ausgiebig anschauen, denn ehrlich gesagt fühle ich mich sehr unwissend zum Thema. Der Umgang der FémRad damit war mir allerdings aus den genannten Gründen trotzdem ein Dorn im Auge.

      Ich hab im englischsprachigen Raum ähnliche Erfahrungen mit den RadFems gemacht wie du, was auch der Grund für mich war, mir diese Seite genau anzuschauen. Für die französisch(sprachig)en Radfems kann ich dir deine Frage nicht beantworten, mein Französisch ist auch wirklich nur mittelmäßig. Ich hatte bei dem Artikel zur “Homoehe” allerdings auch ein sehr schlechtes Gefühl, das ich aber aufgrund meiner zu schlechten Sprachkenntnisse nicht gut genug begründen/untermauern konnte, zu trans* habe ich auf der speziellen Seite nichts gefunden.

      Vielleicht kann aber Di Hia noch etwas dazu sagen?

      liebgruß, anna- Schwelle

    • liebe tina, danke für deinen input! bisher hab ich aus dem kontext aus dem ich schreibe da noch keine transphobie erlebt, wobei Anna Schwelle und ich da gestern noch drüber gesprochen haben. Klasse, dass du diese Kritik ansprichst, ich les da noch mal mehr zu und bin aufmerksamer in den radfem kreisen in denen ich mich bewege. Kann mir gut vorstellen, dass wir dazu hier auch noch mal was schreiben! Beste Grüße Di Hia

      • tina201301 says:

        Liebe Di Hia,

        vielen Dank für Deine Bereitschaft, Dich damit auseinanderzusetzen. Hier ist eine Sammlung von transphoben Äußerungen von radfems: http://stuffradfemssay.blogspot.de/.
        Und hier eine “Anleitung”, wie Trans-Inklusion in feministischen Kreisen erreicht werden kann, die m.E. auch ziemlich differenziert auf die von radfems an Transfrauen geäußerte Kritik eingeht.

      • Hey Tina- da fehlt noch der eine Link zur trans*inklusiven feministischen Areit, oder?
        Danke und mehr von mir später. [Anna Schwelle]

      • Liebe Tina,
        Puh. Hab da mal eben reingeschnuppert. Ich les mir jetzt nicht alles (also stuffradfemssay) durch – ich hab mich heute irgentwie schon genug geärgert. Aber: Danke noch mal für den input. Ich weiß nicht ob das klar wurde aber ich positioniere mich selbst nicht als radfem, das ist mir noch mal wichtig hier fest zuhalten. Die hier geäußerte Kritik finde ich berechtigt und wichtig und werde sie wie bereits erwähnt in meine kommenden kontakte mit radfems mit einbringen und noch kritischer sein. was die lebensrealität von transmenschen angeht muss ich auch ehrlich sagen, kenn ich mich überhaupt nicht genügend aus und habe auch in meinem umfeld wenig austausch darüber. Am wochenende nehme ich mir zeit die “Anleitung” zu lesen, danke noch mal dafür. (passt denk ich auch zu unsrem blogeintrag für kommenden sonntag….) Folg uns weiterhin, wir freuen uns auf austausch mit dir! Di Hia


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